Hilfe! Thomas braucht Unterstützung!
Hilfe! Thomas braucht Unterstützung!
Thomas ist mein Enkel, Renè mein Sohn. Sowohl Thomas wie auch Renè haben ihre ganze Jugend bis zu ihrer Volljährigkeit in Heimen verbringen müssen, Thomas ab dem 3., Renè ab dem 8. Altersjahr. Warum die Buben dort versenkt wurden, haben weder sie noch ich je in Erfahrung bringen können. Wenn schon „schwererziehbar“, dann ganz sicher nicht die Buben, sondern deren Eltern die für das Wohl dieser jungen Menschen verantwortlich gewesen wären. Leider gehören auch die staatlichen und kommunalen Organe des Jugendschutzes dazu, die in diesen Fällen in grober Verletzung ihrer gesetzlichen Pflicht völlig versagt haben. Im Fall von René waren die Folgen katastrophal.
In seiner grenzenlosen Not, den ganzen Rest seines Lebens von seiner Familie ausgeschlossen zu sein, hat René schon sehr früh zur Flasche gegriffen von der er schliesslich nie mehr losgekommen ist. Im letzten Mai haben wir ihn, 43-jährig, an seinem Wohnort der letzten Jahre in Pfyn als psychisches und physisches Wrack im Gemeinschaftsgrab beerdigt. Ein sinnloser Tod nach einem von Anfang an chancenlosen Leben das eindeutig so nicht nötig gewesen wäre. Das Unverständlichste für mich an dieser Tragödie ist, dass das Ganze noch mit riesigem personellem Aufwand unterstützt und mit unsinnigen Summen öffentlicher Gelder finanziert wurde. Ich kann nichts dafür, bei mir schleift die Kupplung. Es steht fest:
So kann und darf es nicht mehr weiter gehen.
Wenn nun Thomas als Ehemaliger das Thema „
Heimkinder
“, zur Diskussion bringt, so hat er meine volle Unterstützung. Zu sehr geht mir Renés Tod ans Lebendige und zu wichtig ist dieses Thema als dass man es weiterhin unter den Tisch wischen kann. Was Thomas und René erlebt haben wiederholt sich tausendfach, nein zehntausendfach allein in unserer braven Schweiz. Ich bin nicht mehr bereit hier tatenlos zuzusehen.
Wenn Thomas in seiner Einleitung davon redet, er habe selbst Hilfe empfangen dürfen und habe es deshalb „geschafft“ (Er meint damit, dass er seine Vergangenheit weitgehend überwunden hat und nun mit Zuversicht an seiner Zukunft arbeiten kann), so denkt er wohl auch ein bisschen an mich. In Tat und Wahrheit waren die letzten 7 Jahre in denen ich mich intensiv für Thomas engagiert habe, sowohl für mich wie auch für alle Beteiligte, keine leichte und oft auch stressige Zeit. Das aber ist eine andere Geschichte. Wichtig ist im Augenblick, dass Thomas sein angeschlagenes Selbstwertgefühl zurückgefunden und den Glauben an die Erwachsenen zurückgewonnen hat.
Wer die Homepage liest wird nicht übersehen, dass das aufgeworfene Thema zu umfangreich ist als dass es Thomas allein bewältigen kann. Er braucht
jede Menge Helfer
. Aber auch in redaktioneller Hinsicht braucht er Unterstützung.
In der Zwischenzeit hat Thomas unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass ihm meine Mitarbeit wichtig ist. Selbstverständlich gewähre ich sie ihm im Rahmen meiner Möglichkeiten und Fähigkeiten. Ich wünsche ihm viel Erfolg und Ausdauer.
Ich nütze nun die Gelegenheit und rufe all jene auf denen das Wohl unserer Jugend wichtig ist sich an der nachfolgenden Diskussion zu beteiligen. Aufgerufen sind vor allem
Betroffene und
Ehemalige
, unabhängig davon was aus ihnen geworden ist.
Ihre Geschichte interessiert uns
. Sehr willkommen sind aber auch betroffene Väter und Mütter, Lehrer, Erzieher, Funktionsträger und Personal aus Justiz und Polizei, Mitglieder von Schul- und Vormundschaftsbehörden, Leiter und Personal von Kinder- und Jugendheimen und alle jene denen das Thema am Herzen liegt.
Mein Ziel ist die Gründung einer als Verein konzipierten Interessengemeinschaft mit eigenem Sekretariat und eigener Hauszeitung, mit dem Ziel, in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen nach Alternativlösungen zu suchen. Ein Zusammenschluss engagierter Idealisten mit kämpferischem Background, die bereit sind als Gotte oder Götti rückhaltlos die Patenschaft oder Beistandschaft eines Heimkindes zu übernehmen. Oder, was noch besser wäre,
ein solches Kind als Pflegkind in ihrer Familie aufzunehmen und zu integrieren
, um ihm so jenes Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln das für seine gesunde Entfaltung so wichtig ist. Ein Gefühl, das zu geben die Kinder- und Jugendheime aufgrund ihrer Struktur gar nicht in der Lage sind. Da nützen die aufwändigsten
Erlebnistherapien
einen Scheissdreck. Sie, die Heime, gehören in dieser Form so schnell als möglich abgeschafft und die vielen positiven Kräfte personeller Art (das gibt’s unübersehbar) in einer noch zu gründenden
Stiftung Hekivel
(Heime für Kinder verhaltensgestörter Eltern) eingesetzt. Es muss endlich damit aufgehört werden, diesen offensichtlich traumatisierten Kindern und Jugendlichen die Schuld an ihrem Schicksal mit dem hinterfotzigen
Selberschuldargument
in die Schuhe schieben zu wollen. Gemeiner und hinterhältiger geht es wohl nicht mehr?
Dem geneigten Leser dürfte nicht entgangen sein, dass ich ziemlich „geladen“ bin. Ja, das bin ich, und zwar mit gutem Grund. Grauenhaft was René z.B. in seiner Jugend an körperlichen Züchtigungen hinnehmen musste. Was ich ihm aus eigener Erfahrung ersparen wollte, haben ihm andere gegeben. Erfahren habe ich das von ihm erst sehr viel später und nur in kleinen Raten. Darüber zu reden ist ihm zeitlebens nicht leicht gefallen. Aber auch Thomas scheint Schlüsselerlebnisse zu haben die ihn aufs schwerste erschüttert haben und über die er noch heute, wie er mir gegenüber in einem konkreten Fall zum Ausdruck gebracht hat, nicht reden wolle. Aber auch das ist eine andere Geschichte.
Damit wäre die Diskussion eröffnet. Zwei Themen in Form unbequemer Fragen sollen den Anfang bilden:
Thema 1: Traurige Bilanz.
Von René habe ich mehrmals zu hören bekommen, dass das was aus den Erziehungsheimen komme zu 90 % „Ausschuss“ sei. Er sei der einzige aus seiner Gruppe der nicht abgestürzt sei. Der eine habe sich beim Sturz aus dem Fenster eines Untersuchungsbeamten tödliche Verletzungen zugezogen, der zweite sei zu einer langjährigen Strafe verurteilt gewesen, der dritte habe sich den goldigen Schuss gegeben und Dani, dem in Uster die Flucht aus dem Untersuchungsgefängnis gelungen war, fand man ein par Wochen später tot in einem Wald in Österreich. Ein junger liebenswerter Mensch der verzweifelt nach Anerkennung gerungen und nirgends bekommen hat. Als Andenken an ihn habe ich noch heute ein Gläschen selbstgemachte Gewürzmischung das er mir damals stolz geschenkt hatte.
Aber auch Thomas hat eine ganze Reihe von Kollegen von denen er weis oder annehmen muss, dass sie untergegangen sind oder noch untergehen werden.
Wahrlich, eine traurige Bilanz. Was sagen die Verantwortlichen dazu, was die Jugendschutzbehörden?
Thema 2: Kreis der Bezugspersonen
Innerhalb der Familie, unabhängig davon in welchem Zustand sie sich befindet, hat das Kind von der Geburt weg ein klar definiertes Umfeld das prägend auf das herrschende Klima ist. In diesem Umfeld lernt es sich zu bewegen und sich der gegebenen Situation anzupassen, um so für sich den Alltag so erträglich wie möglich zu gestalten. Die Normen die in seiner Familie gelten bleiben im Normalfall bis zu seiner Volljährigkeit erhalten. Die so gewährleistete
Kontinuität
ist eine wichtige Basis für seine gesunde und stressfreie Entwicklung.
Nicht so das Kind das aus der Familie gerissen und in ein Heim gesteckt wird. Das fängt damit an, dass es sich dort plötzlich mindestens einem halben Dutzend Erziehern gegenüber sieht, die in Schicht arbeitend nur noch sporadisch zur Verfügung stehen. Wem soll es am Abend beim Zubettgehen seine Sorgen anvertrauen, wenn es am Morgen von einem anderen aus den Federn geholt wird? Jeder hat seine eigenen Prioritäten. Der eine ist verständnisvoll und tolerant, der andere sieht hinter jeder Kleinigkeit eine strafbare Handlung. Der dritte verlässt seine Stelle und wird durch einen neuen ersetzt. Und zu guter Letzt wird es versetzt in eine andere Anstalt und der ganze Zirkus fängt von neuem an.
Und dann Tag und Nacht
die bohrende Frage nach dem Warum seines
Heimaufenthaltes
und niemand gibt ihm eine anständige Antwort. Am Anfang mag es sich Mühe geben in der Hoffnung möglichst bald nach Hause zurückkehren zu können. Irgendwann wird es realisieren, dass alle Bemühungen fruchtlos verpuffen. Je länger je mehr fühlt es sich von den Erwachsenen belogen und betrogen. Selbst der Verständnisvolle wird zum Verräter, weil er die Autorität derer die vorgeben über die Erziehungsgewalt zu verfügen nicht infrage stellen darf. Er würde nur seine Stelle verlieren ohne etwas zu erreichen.
Das Heim wird immer mehr zum verhassten Zuchthaus aus dem es kein Entrinnen gibt. Das Ziel ist schliesslich nur noch die Volljährigkeit um dann endlich frei zu sein. Als Begleiterscheinung in diesem riesigen Spannungsfeld der Gefühle sinkt die schulische Aufnahmefähigkeit markant. Das Resultat sind schlechte Noten, die wiederum nicht geeignet sind den Start ins Leben positiv zu beeinflussen.
Und dann kommt endlich der Tag der Entlassung und diese jungen Menschen haben
nie gelernt Eigenverantwortung zu tragen.
Im Heim kamen alle Entscheidungen von Oben. Eigenverantwortung bestand nur noch in der kurzfristigen Frage; tu ich’s oder tu ich’s nicht. Je nach dem hatten sie dann den Frieden oder aber es gab Stunk.
Und nun stehen sie an der Schwelle zur Freiheit und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Sie sehen sich plötzlich vor die Tatsache gestellt in Eigenverantwortung wichtige Entscheidungen zu treffen die richtig oder falsch sein können. Entscheidungen die unter Umständen ihr ganzes Leben positiv oder negativ beeinflussen können. Der Kreis von Bezugspersonen die sein Vertrauen geniessen und die er allenfalls um Rat oder Hilfe ersuchen kann gibt es nicht und muss zuerst aufgebaut werden.
In der Familie ist das anders. Dort wird Erziehung zur Selbständigkeit und Eigenverantwortung gross geschrieben. Die Eltern überlassen es dem Kind oder dem Jugendlichen Entscheidungen zu treffen. Sie wirken lediglich beratend im Hintergrund. So erhält z.B. schon das kleine Kind die volle Verfügungsgewalt über sein Sparschweinchen. Auf diese Weise lernt es schon früh mit dem sauer verdienten und gesparten Geld sinnvoll umzugehen.
Genug für heute. Die Diskussion ist eröffnet, die Themen hiezu in konzentrierter Form dargelegt. Was sagen betroffene oder ehemalige Heimkinder dazu, aber auch alle die in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind. Ich bin gespannt.
Ihr Bernard Stauber,
Verstarb im Jahre 2011